Norman Jewison verwandelte Stars in Menschen, Pop in Leben, Symbole in Erfahrungen. Nun ist der Regisseur von Filmen wie "In der Hitze der Nacht" gestorben. Ein Nachruf
Von Georg Seeßlen
Norman Jewison, der Kanadier in Hollywood, war von der alten Traumfabrik so weit entfernt wie von den raging bulls des New-Hollywood-Kinos. Im Gedächtnis der Filmkultur wird er nicht nur wegen einiger herausragender und, wie im Falle des Südstaaten-Rassismus-Cop-Thrillers In der Hitze der Nacht,auch wagemutiger Filme bleiben, sondern ebenso als Repräsentant einer Zwischengeneration. Jewison wollte Filme für Zeitgenossinnen und Zeitgenossen drehen, aber er wollte das Showbusiness im Allgemeinen und das Kino im Besonderen nicht neu erfinden.
Wie einige seiner Altersgenossen hat auch der 1926 geborene Jewison beim Fernsehen (noch in Kanada und zwischendurch auch in England) begonnen, lernte dort das Schreiben, das Produzieren, das Choreografieren, die Effekte zu setzen, das Beste aus begrenzten Räumen und Requisiten herauszuholen. In den USA wurde er schließlich bekannt als Regisseur hinter der Judy Garland Show auf CBS, die in den Jahren 1963 und 1964 allerdings überschaubar erfolgreich war – unter anderem, weil auf NBC zur gleichen Zeit Bonanza lief. Zwischen musikalischen Auftritten erzählte Garland Geschichten aus ihrem Leben, versuchte sich aber auch als Satirikerin. Das Ganze war eine bizarre Mischung aus Realityshow und Traumspektakel, sogar mit einem Nachbau der Yellow Brick Road aus dem Zauberer von Oz. Jewison aber hatte in seiner Zeit (Episode 6 bis 13) eine sehr einfache Philosophie: "Lasst uns die heilige Kuh etwas weniger heilig machen."
Und eben das war es wohl, was Jewisons Arbeit insgesamt auszeichnete. Anders als seine Vorgänger wollte er die heiligen Kühe der Traumfabrikation nicht um jeden Preis in ihrer ewigen Unantastbarkeit bewahren, er hatte aber auch nicht vor, sie berserkerhaft zu schlachten, wie es Jewisons Nachfolgegeneration versuchte. Bei ihm wurden Stars wieder das, woraus sie ursprünglich entstanden waren, nämlich Schauspielerinnen und Schauspieler, und bei ihm wurden die Hollywood-Genremythen ebenso wie die großen Showelemente nicht zerstört, öffneten sich aber stets zu einem menschlichen und sozialen Hintergrund.
Die Schuld des Menschen in dieser Welt
Jewison nutzte die Mittel der Traumfabrik, um etwas zu sagen. Wenn man es auf den kleinsten Nenner bringen will: Es ging ihm um die Schuld des Menschen in dieser Welt, in dieser Geschichte, in dieser Gesellschaft. Das war manchmal dramatisch, manchmal aber auch furchtbar komisch. Jewison war auch als Komödienregisseur einer, der nie überdrehte, sondern sich stets den genauen Blick auf die Lebensumstände seiner Protagonisten bewahrte.
Diese Fähigkeit zeigt sich in seinen beiden Doris-Day-Komödien, die einerseits dem Doris-Day-Publikum Gewohntes boten, andrerseits heftige Attacken gegen die großen Gewissheiten der US-amerikanischen Mittelschicht ritten. Ein Auto landet im Swimmingpool, eine Geburt findet im nicht mehr zur Fahrt fähigen Automobil ausWas diese Frau so alles treibt (1963) statt. Latente Hysterie zeichnet die Ehebeziehungen ausSchick mir keine Blumen (1964) aus: Sie erfasst nicht nur Rock Hudson, sondern eine ganze Klasse zur Zeit der scheinbar ungebremsten Prosperität. Jewison sagte mit Bildern mehr über diese Kultur als mit Worten; so grotesk die Welt ist, in der sie leben, so können seine Figuren doch immer mit der Barmherzigkeit ihres Regisseurs rechnen, auch wenn sie Schlimmeres getan haben, als sich gegenseitig zu manipulieren und zu misstrauen.
Dieses Talent der mitfühlenden Entheiligung sollte sich in Jewisons auf den ersten Blick so unterschiedlichen Arbeiten immer wieder zeigen. Da waren die realistischen Dramen, auch einmal in naher Zukunft angesiedelt wie Rollerball (1975), und da waren die Musicals, da waren romantische Komödien und gelegentlich eigenartige Psychodramen. Sie alle hatten diesen Jewison-Touch: Immer wieder gelang es dem Regisseur, die großen Produktions- und Showwerte von Hollywood mit einer intimen Beziehung zu seinen Figuren zu verbinden. Am Ende ging es doch immer um Menschen.
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Das macht auch die Wirkung von Jewisons explizit gesellschaftskritischen Filmen aus. In In der Hitze der Nacht (1967) stehen sich ein rassistischer Holzkopf aus dem provinziellen Süden und ein großstädtischer, gebildeter und kluger Polizeidetektiv bei der Lösung eines Kriminalfalls gegenüber. Mit Rod Steiger und Sidney Poitier in den Hauptrollen zeichnet Jewison auch zwei unverwechselbare individuelle Charaktere, die ihre Geschichten nur teilweise verarbeiten können. Am Ende bleiben Fragen, aber es bleibt auch Hoffnung. In der Hitze der Nachtkonnte zu einem Film werden, der aus den Kinos in die Gesellschaft hinein wirkte, weil er auf Veränderung, nicht auf Verurteilung hinausläuft. Das mochte für einige nicht radikal genug sein. Für andere war es eine Möglichkeit, einen Schritt aus der rassistischen Verblendung zu riskieren.
Solche Gegenüberstellungen liebte Norman Jewison besonders. In Cincinnati Kid (1965) ging es um einen jungen und einen alten Spieler (Edward G. Robinson und Steve McQueen) und darum, was der Regisseur brauchte, um einen großen Film zu machen: gute Schauspieler, einen begrenzten, aber lebendigen Raum und eine Geschichte, die am Ende doch nicht so ausgeht, wie alle Erwartungen meinten. Es gab schon hier eine der für Jewison typischen Schlussszenen: eine perfekte Mischung aus Ernüchterung, Melancholie und Hoffnung.
Noch etwas stellte Jewison in diesen beiden Filmen unter Beweis, nämlich dass er sehr disparate Elemente zu einer Einheit zusammenfügen, dass er Schauspieler bis auf den Grund ihrer Images durchschauen konnte. In Cincinnati Kid genossen wir nicht nur die einmalige Coolness von McQueen, sondern konnten auch dabei zusehen, wie sie entsteht und wo ihre Grenzen liegen und dass der Regisseur nichts Nebensächliches oder gar Gleichgültiges in seinen Filmen duldete. Die Nebendarsteller waren so wichtig wie die nominellen Stars; Blicke so wichtig wie Handlungen; Objekte so bedeutend wie Menschen. In dieser Klarheit des Sehens lag wohl die Modernität von Jewison.